Der Mosthof war 40 Jahre lang ein beliebtes Ausflugsziel im Harleshäuser Habichtswald. Er befand sich in der Nähe des Blauen Sees, zwischen den Teichen von Wilhelm Führer an der Alten Wolfhager Straße und dem aus Bruchsteinen erbauten Haus der Steinbrucharbeiter. Nachstehend geht es um die dortige Idylle, das Leben und Wirken Adolf Zeilingers und auch um die ersten Waschbären Kassels.
Erinnerungen von Facebook-Nutzern
Werner: Hat hier im Forum jemand ein Bild vom Mosthof Zeilinger. Dann bitte hier posten. Zeilinger war ein Naturheilkundiger und hatte am Blauen See den Mosthof. Hier konnte man als Wanderer einkehren und für kleines Geld seine selbstgemachten Kräuterbrote und Most geniesen. — Sigrid: Ja, dass war dort wunderschön und hat supi geschmeckt. — Klaus: da gabs lecker Apfelsaft… — Holger: Und der Zeilinger hat uns die Waschbären nach Kassel gebracht. — Heike: Vielen Dank für die schönen Fotos! Ich war als Kind gerne mit meinen Freundinnen dort. Ich hatte vergessen, wie schön es dort war. — Gisela: Bei dem Mosthof war ich oft mit meinen Großeltern, sie wohnten in der Eisenbahnersiedlung und wir sind bis dahin gelaufen. — Heidi: Das waren schöne Zeiten…das Kräuterbrot und die Säfte…einmalig. — Petra: Frisches Brot mit Radieschen und Maggi. lecker — Renate: Hab mir wieder Liebstock im Blumentopf gesäät. Das gibt dann leckere Mosthofbrote. — Sigrid: Ich bin begeistert ☺☺☺ — Angelika: Ach, war das schön damals. Das Bächlein und die Kneippanwendungen, der Most, die Brote, der Wald – und überhaupt. Sowas gibt es nicht mehr. — Hanni: Ich war ab 1965 mit Renates Tochter befreundet und dort öfters zu Besuch. Dass waren ganz liebe Leute.
Quelle: Alt-Kassel-Gruppe bei Facebook
„Kassels erste Grüne“ — so lautete die Überschrift eines wunderbaren, 1981 in der HNA erschienenen Artikels über die „märchenhafte Welt“ beim Mosthof, das „Rezept“ für die vielgerühmten Kräuterbrote inklusive.
25 Jahre Süßmosthof im Habichtswald am Blauen See
Von Karl Bippig, 1974 veröffentlicht im Ossenheft Nr. 41:
Am 23. April 1973 feierte der Mosthof sein 25-jähriges Bestehen. Gleichzeitig wurde Herr Zeilinger an diesem Tage 65 Jahre alt. 1936 als Flugzeugtechniker nach den Fieseler-Werken gekommen, fand er sich mit seiner Familie In Kassel schnell zurecht und wurde bald als überzeugter Naturanhänger und Verfechter einer gesunden Lebensweise durch Gesundheitsvorträge in seiner Firma bekannt. Heilkräuter- und Pilzlehrwanderungen schlossen sich an.
Er war der erste Mann, der in den Großküchen das Essen vor dem Anrichten durch Zuschütten von frisch gepreßtem Wildpflanzensaft aufvitaminisierte — eine Angelegenheit, die heute nach bald 40 Jahren noch genauso aktuell und notwendig wäre. Schon damals hatte er die Idee, ein firmeneigenes Gesundheitsgelände zu schaffen, auf dem In Kurzkuren erschöpfte Arbeiter und Angestellte ohne große Vorbereitung bei naturgemäßer Lebensweise in herrlicher Umgebung sich erholen sollten. Der Kriegsverlauf ließ dies leider nicht mehr zu, doch war die Idee geboren, die Herrn Zeilinger seitdem nicht mehr losließ.
Aus dem Krieg zurückgekehrt, war für Herrn Zeilinger zunächst — der Not gehorchend — eine andere Aufgabe wichtiger. So entstand mit Unterstützung der hohen Forstbehörde, des Ernährungsamtes, des Oberbürgermeisters Seidel und guter Freunde eine Heilpflanzen- und Wildfrüchteverwertung. Bald wurden 7 Leute beschäftigt, um tausend Flaschen Brennessel-, Huflattich- und Möhrensaft pro Woche zu erzeugen. So konnte wenigstens der Bedarf für Kleinkinder gedeckt werden.
Später wurden roter und schwarzer Holunder, Sdilehen und Hagebutten verarbeitet, und ganz natürlich kam dann noch eine Zuckerrüben- und Obstverwertung hinzu. Tausend Zentner Zuckerrüben wurden jährlich zu Sirup und circa 32000 Flaschen Most mit selbstgebauten Maschinen und Einrichtungen hergestellt. Während einer Wildfruchtsammelaktion wurde von Zeilingers kleinstem hessischen Betrieb die größte Wildfruchtmenge (1300 Zentner!) in sieben Wochen erfaßt.
Am 23. April 1948 war der eigentliche Geburtstag des Mosthofes. An diesem Tage wurde den Gratulanten zum erstenmal Obstsaft frei ausgeschenkt. Schnell wurden Bänke und Tische aus rohem Holz gezimmert, Most ausgeschenkt und Kaffee aufgegossen. Bald besuchten sonntags Hunderte von Gästen den Mosthof! Vereine, kirchliche Gemeinden zum Gottesdienst, Jugendgruppen, Schulklassen und ausländische Zirkel fanden sich ein.
..Mosttrinken — „Kaffee aufgießen“ — „Ausruhen“ — ohne großen geldlichen Aufwand — so war es, und so ist es geblieben bis auf den heutigen Tag. 25 Jahre treue Hingabe zeichnen Herrn und Frau Zeilinger an ihren Mosthof aus; vom 1. Mai bis Ende September kennen sie jahrein, jahraus keinen freien Tag und stehen immer im Dienst am Nächsten. In nebenberuflicher Arbeit wurden jährlich noch ein gutes Dutzend Vorträge oder Heilpflanzlehrwanderungen für Hausfrauen- und Landfrauenvereine, Gesundheits- und Gartenbauvereine gehalten.
Wer die Stille liebt, das Natürliche, der findet heute mehr denn je dort oben im Mosthof in reiner Luft, bei Wassertreten, Armbädern. Spielen und Ausruhen auf der großen Liegewiese (Waldwiese) beste Erholung. Der Wanderer findet mitten im Wald einen alkoholfreien Ausflugsort, der seinesgleichen sucht und auf den die Bewohner Kassels eigentlich stolz sein müßten. An jeder Autobahn müßten solche Plätze entstehen und den Autofahrern naturgemäße Erholung spenden.
Dem Ehepaar Zeilinger wurden 5 Kinder geschenkt, von denen 4 in Amerika leben und eines in Deutschland wohnt. Daß Herr Zeilinger noch ab und zu wilde Waschbären füttert, möge ihm als großem Naturfreund erlaubt und verziehen sein. Dem Ehepaar Zeilinger und dem Fortbestand des Mosthofes gelten alle guten Wünsche!
„Komm, Bärle, komm“
Im den Ossenheftn 71 und 72 berichtete Karl Bippig davon, wie die ersten Waschbären nach Kassel kamen und im Mosthof verköstigt wurden. Damals ahnte niemand, wieviele Bären es künftig mal in Kassel geben würde:
Erlebnisse mit den Waschbären
Unsere erste Berührung mit Waschbären geschah bei Zeilingers im Mosthof im Jahre 1963. Es war Anfang Mai, als Zeilingers auffiel, daß jeden Morgen die Abfälle auf dem Komposthaufen verschwunden waren. Bald darauf sah Herr Zeilinger eines Abends ein merkwürdiges Tier mit gekrümmtem Rücken, das bei dem geringsten Geräusch verschwand. Ein paar Tage später sagte Frau Zeilinger: „Weißt du, auf unserem Hof läuft ein Tier umher, so groß wie eine starke Katze. Es ist sehr scheu. Sobald ich ihm näherkomme, rennt es fort.“ Am nächsten Abend raschelte und krachte es draußen, doch als Zeilingers hinausrannten, sahen sie nur noch einen Schatten von dem umgeworfenen Papierkorb verschwinden. Diesmal glaubten sie aber, den nächtlichen „Gast“ erkannt zu haben. Ein Dachs mußte es sein! (Was ja nach Lage der Dinge auch hätte zutreffen können!)
Die Besuche auf dem „Süßmosthof“ wiederholten sich. Einmal standen sich am Komposthaufen sogar zwei der „Gesellen“ knurrend gegenüber. Zeilingers wollten ihre seltsamen Gäste nun genauer beobachten. Und tatsächlich — nach einem nächtlichen Gewitterregen hatten sie Glück. In der Gartenhecke hockte ein recht traurig dreinschauendes graues Tier mit schwarzweißer Gesichtszeichnung. Nein! Ein Dachs war das nicht — sondern ein Waschbär! Diese „Amerikaner“ hatten sich also in den 30 Jahren nach ihrer Auswilderung am Edersee so vermehrt und ausgebreitet, daß sie unseren Habichtswald erreicht hatten.
Herr Zeilinger sprach beruhigend auf den Waschbären vor ihm ein: „Na, alter Junge, du bist ja völlig durchnässt, und sicher hast du auch Hunger. Warte, ich hole dir den Katzenteller!“ Er stellte den Napf hin. Aber das Tier war noch zu scheu; es verschwand schnell hinter der Hecke. Doch bald kam es wieder, und nun nahm es das Futter an. Milchgriesbrei schien dem Gast besonders gut zu schmecken. Herr Zeilinger nannte ihn „Felix“. Hunger trieb ihn her!
Von jetzt an stellte der Fremdling sich regelmäßig im Morgengrauen und in der Abenddämmerung ein. Bald ließ er sich sogar aus der Hand füttern. Der kleine Besucher machte „Männchen“ und nahm das Brot behutsam aus der Hand. Dabei stellte sich heraus, daß „Felix“ ein säugendes Muttertier war. An einem Junimorgen, gegen 5 Uhr, gab es dann auch eine Überraschung! Die Waschbärin erschien mit vier Jungen — so groß wie Igel. Drollig sahen die kleinen Waschbären aus!
Eigenartig war es, daß nur die Mutter an den Teller mit dem Futter ging. Sie hatte ihre Kinder zwar mitgebracht, doch sie mußten in der Hecke zurückbleiben. Dabei gab es sogar Tatzenhiebe. Erst nach einigen Tagen durften auch die Kleinen an den Teller. Nun versuchte die Familie Zeilinger, auch die Jungtiere aus der Hand zu füttern. Es gelang großartig!
Die kleinen Waschbären entwickelten sich prächtig! Einmal kam ein „Bärlein“ mit weißem Schnäuzchen aus der Küche; es hatte den Milchtopf geleert. Nun war auch klar, wer die „Rote Grütze“ stibitzt“ hatte, wegen deren Verschwindens es damals bei Zeilingers großes Rätselraten gegeben hatte. Das war so: Eines Nachmittags waren Bekannte zu Besuch gekommen — Eltern mit ihren Kindern, und ein Kinderfest sollte gefeiert werden. Zur Freude und zur Erfrischung der Kinder hatte Frau Zeilinger einen großen Topf voll Rote Grütze gekocht und ihn zur Abkühlung in die nahe Quelle gestellt. Als die Kinder den Topf später holen sollten, schwamm er leer auf dem Wasser. Die Rote Grütze war verschwunden. Also hatten sich damals die „Waschbären“ den für die Kinder gedachten Nachtisch gut schmecken lassen. Die Trittsiegel der Tiere fand man noch im weichen Erdreich. Waschbären lieben ja das Süße! Milch, Griesbrei, Honig, Weintrauben, Bananen und Pflaumen nahmen sie besonders gern an. Ja, selbst Apfelsaft tranken sie mit sichtlichem Behagen!
Eines Abends kletterten alle Waschbären die Hausmauer hinauf und spielten lärmend auf dem Dach. Bei dem Krach war an Schlafen nicht zu denken, und so klatschte Herr Zeilinger in die Hände. Da huschten die nächtlichen Krakeeler im Nu von ihrem Tummelplatz herunter und verschwanden blitzschnell in den Bäumen. O, wie gewandt und schnell konnten sie klettern! Sie ließen sich danach zwei Tage nicht sehen.
Trotz aller Vorliebe für Süßigkeiten verlangten die jungen Waschbären bald auch nach handfester Nahrung. Inzwischen kam die zutraulich gewordene Waschbärenfamilie in die Wohnung der Familie Zeilinger. Sobald in der Dunkelheit die Wohnungstür geöffnet wurde, trottete unter Führung der Mutter ein „Bärlein“ nach dem anderen herein, langsam, bedächtig. Sie mußten wohl instinktiv fühlen, daß sie bei Tierfreunden bereitwilligst Aufnahme fanden; daher wurden sie bald heimisch. In jenen Tagen haben wir die herrlichsten Aufnahmen von den Gesellen gemacht. Wenn ich es nicht miterlebt hätte, würde ich es kaum glauben: Der „zahmste“ Waschbär saß sogar mit zu Tische vor seinem Teller, als sei es die größte Selbstverständlichkeit der Welt. So vergingen Tage, Wochen. Herr Zeilinger hatte voll zu tun, all die hungrigen Mäuler zu versorgen. Es war erstaunlich, mit welcher Behutsamkeit ihm die Waschbären das Futter aus den Händen nahmen.
An einem Abend stellte sich noch eine zweite Mutter mit ihren drei Kindern ein; ihre Kleinen waren ein wenig dunkler gefärbt, und die Mutter war gedrungener und wesentlich scheuer. Eines ihrer Kinder sah fast schwarz aus; deshalb gaben Zeilingers Kinder ihm den Namen „Schwarzer Peter“. Bemerkenswert, daß sich die „Väter“ in diesen beiden Familien niemals sehen ließen! Ob sie in der Verbannung, in der Einsamkeit lebten? Beim Essen saßen alle 4 Waschbären — ähnlich wie Eichhörnchen — auf den Hinterbeinen, hielten das Futter in beiden Pfötchen und schmausten mit gutem Appetit. Jung und alt machten mit den Pfötchen, auch ohne Wasser, reibende, „waschende“ Bewegungen, wenn sie Futter anfaßten. Der Name „Waschbär“ hat also nichts mit Wasser, Seife und Handtuch zu tun.
Im Kreise der Waschbären mußte es sich im Habichtswald wohl herumgesprochen haben, daß man im Mosthof kostenlos zu Gaste weilen durfte. So kam es denn auch, daß an manchen Abenden bis zu 20 Bären gezählt werden konnten; dabei war auch die Feststellung sehr interessant, daß die einzelnen Familien zusammenhielten und nach einer gewissen Rangordnung die Futterstelle behaupteten.
Waschbären in freier Wildbahn lieben Waldbeeren, Nüsse und Schnecken — leider plündern sie auch bei uns noch die Vogelnester. Gern suchen sie das Erdreich ab; dabei streicht die Nasenspitze ständig über dem Boden. Beim Fang von Nachtfaltern, die im Lichtschein des Hauses umherflogen, stellten sich Zeilingers Schützlinge recht tolpatschig an. Vielleicht suchten sie im Garten manchmal auch nach Samen oder nach Schnecken, denn unter den Bäumen war die Erde morgens oft frisch umgewühlt. Gern schienen sie sich am Wasser des nahen Teiches aufzuhalten. Viele Spuren führten dorthin; deutlich waren ihre Trittsiegel zu erkennen.
Wie ich durch meine häufigen Besuche im Mosthof feststellen konnte, entstand für die Familie Zeilinger durch die regelmäßige Fütterung der Waschbären eine erhebliche geldliche Belastung; manches Brot, manches Pfund Margarine mußte gekauft werden. Die Bären hatten kundgetan, daß sie bestrichenes Brot lieber fraßen als trockenes. Darum startete ich in der Schule eine Hilfsaktion; nach Schulschluß sahen wir unter allen Bänken nach liegengebliebenen Frühstücksresten nach und sammelten sie ein. In großen Papiersäcken wurden die Vorräte verstaut, und unser Hausmeister Herr Wohlkopf brachte sie mit seinem Auto dankenswerterweise zu Zeilingers; dreierlei wurde dadurch bewirkt: Zeilingers brauchten nun nicht mehr so tief in die eigene Tasche zu greifen; die Frühstücksreste fanden eine sinnvollere Verwendung als in die Mülltonne geworfen zu werden, und die Lehrer richteten einen Appell an die Kinder, nicht so sündhaft mit dem täglichen Brot umzugehen!
Inzwischen steigerte sich das Interesse an den Waschbären bei Kindern und Lehrern. So führte ich wiederholt Kollegen und Schüler in kleinen Gruppen in der Abenddämmerung zum Mosthof, wo uns Zeilingers freundlich aufnahmen. Je ruhiger sich die Besucher verhielten, desto mehr konnten sie sehen und erleben. Kein Zoo hätte bessere persönliche Bereicherungen vermitteln können! Ich glaube bestimmt, daß die damaligen Teilnehmer diese Erlebnisse nicht vergessen werden! Ich mußte Zeilingers Fleiß und Ausdauer bewundern, daß sie sich von 1963 bis 1967 für die hungernden Tiere einsetzten. Eines Tages haben wir dann doch die Fütterung eingestellt, da wir erkannten, daß sich diese „Fremdlinge“ in unseren Landen zu sehr vermehrten und ihr schädigendes Verhalten bei weitem ihren fraglichen Nutzen überwog.
Noch heute klingt mir Herrn Zeilingers Rufen „Komm, Bärle! Bärle, komm!“ in den Ohren.
Gratulation und Nachruf
Zusammenfassung von 2 Texten aus dem Ossen; einem Artikel zu Adolf Zeilingers 80. Geburtstag und ein Nachruf, beides verfasst von seinem Freund Karl Bippig:
ADOLF ZEILINGER 23. April 1908 — 9. Oktober 1992
Die älteren Harleshäuser werden ergriffen sein, zu hören, daß wieder ein Harleshäuser das Zeitliche durchschritten hat. Adolf Zeilinger erreichte 84 Jahre! Wir denken sofort an den „Mosthof“, den er sich in einem stillen Waldwinkel aufgebaut hatte, der die Gäste aus dem Kasseler Raum zum Ausruhen und zur Stärkung einlud. In den Nachkriegsjahren wurde so manches Glas Apfelsaft ausgeschenkt, später gab es noch Kräuterbrote zum Verzehr, und zuletzt ließ man auch noch die alte Kasseler Tradition des Kaffeeaufgießens wieder aufleben.
Blumen schmückten die lauschigen Sitzecken, und die Singvogelwelt sorgte für ein bezauberndes Waldkonzert. Der umgebende Wald glich einer Wohnstube. Ruhesuchende wußten den Platz rund um den Mosthof sehr zu schätzen. Dieses romantische Leben währte über Jahrzehnte. Adolf Zeilinger war von Haus aus Idealist! Diese treue Seele zeigte sich gut zu Mensch, Tier und Pflanze. Im Sommerhalbjahr schmückte der Blumengarten das Gelände rund um das Haus auf wunderbare Art; die Vogelwelt musizierte für ihn in besonderer Weise; seine Tierliebe zu den Waschbären darf nicht vergessen werden, ja, und den Menschen galt sein Willkommensgruß, und in seiner Gastfreundschaft ließ er sich von niemandem übertreffen. Ihm sei Dank, daß er sich ein halbes Jahrhundert für das körperliche Wohlergehen seiner Mitmenschen tatkräftig eingesetzt hat!
1936 kam er vom Flugzeugbau Klemm in Böblingen als Flugzeugtechniker zu den Gerhard-Fieseler-Werken. Als Vegetarier fiel er durch seine Gesundheitsbestrebungen, seine Vorträge und Kräuterwanderungen bald so auf, daß ihn Gerhard Fieseler recht bald in seinem Werk neben seiner technischen Tätigkeit als betrieblichen Gesundheitshelfer einsetzte. Bald war er auch an der Einführung von Diätessen maßgeblich beteiligt; es folgte der Bau eines Wassertretbeckens für die Belegschaft; im vorhandenen Gesundheitshaus wurde sein Rat ebenfalls gern angenommen. Nicht zuletzt goß er jeden Tag kurz vor dem Anrichten des Eintopfessens 10 Liter Frischpflanzensaft aus Brennesseln und Löwenzahn, den er mit seiner Ehefrau Tilli jeden Morgen ganz in der Frühe sammelte und preßte, zur Vitaminisierung des Essens in jeden großen Kochkessel. Das war in dieser Zeit eine einmalige Angelegenheit! Im späteren Kriege übernahm Herr Zeilinger auf Fieselers Wunsch auch noch die soziale Sorge um die vielen Fremdarbeiter, damit sie menschenwürdig untergebracht und bekleidet wurden und deren Essen — auch in allen von Kassel verlagerten Betrieben — in Ordnung war.
Nach dem Krieg baute Herr Zeilinger mit eigenen Händen auf einem sogenannten Umland im Habichtswald mit Genehmigung des damaligen Regierungspräsidenten seinen Mosthof auf. In der Süßmosterschule in Obererlenbach und Bad Homburg galt er, trotz großen Widerstandes seitens der Lehrer, als Vorkämpfer für den naturtrüben Apfelsaft und Süßmost. In der schlechten Zeit vor der Währungsreform produzierte er im Mosthof Säfte aus Wildfrüchten und Möhren für Kranke und Kleinkinder und beschäftigte zeitweise sieben Mitarbeiter. Als eine ganz große Leistung darf auch das Erfassen und Sammeln von 1 300 Zentnern Wildfrüchen in sieben Wochen rund um Kassel bezeichnet werden, die in Eschwege verarbeitet und als Marmelade vom Kasseler Ernährungsamt an Krankenhäuser und Altenheime verteilt wurden. Zeilingers Betrieb war der kleinste in Hessen, besaß jedoch die größte Leistung.
In dieser Zeit begann auch die alternative Arbeit der Aufklärung. Seine Vortragsreisen führten ihn im Norden bis nach Hamburg, im Süden bis nach Fulda. Begehrt waren seine Ausführungen vor allem bei den vielen Landfrauen- und Hausfrauenvereinen, aber auch bei den Gartenbau-, Gesundheits- und Kneippvereinen. In Kassel sprach er zu Lebzeiten von Frau Else Pelz-Langenscheidt mehrmals vor 1000 Hausfrauen in der Stadthalle. 25 Jahre hindurch hielt er jährlich 8 bis 10 Kräuter-, Pilz- und Wildfruchtwanderungen mit einer Teilnehmerzahl bis zu 100 Personen ab. Wen wundert es, daß Herr Zeilinger auch noch einige Jahre Bundesjugendwart im biochemischen Gesundheitsbund war und Jugendfreizeiten im Harz und rund um Kassel durchführte. Zwischenzeitlich betätigte er sich auch als Heilpraktiker.
Zeilingers hatten 4 Kinder. Das Leben dort oben im Wald verlief sehr bescheiden, als Vegetarier wurden die Kinder groß, und alle waren froh und guter Dinge. Nur die älteste Tochter, Michaela, blieb mit ihrer Familie in Deutschland — in Reutlingen; die Geschwister zog es über das große Wasser. Sie sind dort verheiratet und haben ihre Familien. Ute lebt in Oregon, Otfried in Kalifornien, Heidrun in Washington und Renate in Vancouver. Gut, daß es Telefon gibt: die Kinder riefen die Eltern am Blauen See immer wieder an und hielten die Verbindung aufrecht!
Mit zunehmendem Alter der Eltern wurde es in den letzten Jahren ruhiger um den Mosthof. Mutter Zeilinger kam in Süddeutschland in ein Pflegeheim, während der Vater noch vorübergehend die Fahne im Habichtswald hochhielt. Infolge eines Unfalls beim Obsternten verlor Adolf Zeilinger 1984 seinen Magen, danach machten sich die Folgen (u. a. Eisenmangel) bemerkbar, und so wurde es um den Mosthof etwas stiller. Aber der Mosthofonkel ließ sich trotz der Behinderung nicht unterkriegen, und so sollte die Fahne, wenn auch bei reduzierter Ausschankleistung, weiterwehen! Als seine Krankheiten jedoch zunahmen, kam der Mosthof zum Erliegen. Seine Kinder holten ihn dann nach Reutlingen, wo er drei Tage später in Ruhe einschlief.
Seinen Mosthof, den er mit seiner Frau betrieb, nannte er „Oase des Friedens“! Die Kinder vieler Schulklassen tranken hier für wenig Geld Apfelsaft. Das Kaffeeaufgießen, das Mosttrinken und besonders das Ausruhen inmitten von Wald und Blumen bedeutete für die Gäste stets ein Erlebnis, und das Mosthof-Kräuterbrot ist vielen Besuchern in angenehmer Erinnerung geblieben. Die heutigen Gesundheitsbestrebungen der Bundesbürger lassen erkennen, daß sich Herr Zeilinger in seinen gesundheitlichen Bemühungen im nachhinein voll bestätigt sehen kann!
Das Ende des Mosthofs
Zur Übung abgebrannt (HNA-Artikel, Erscheingungsdatum unbekannt)
Aus gemeinsamem Interesse legten Forstverwaltung und Feuerwehr einen Brand: Die einen wollten eine baufällige Hütte loswerden, die anderen den Einsatz unter realistischen Bedingungen üben.
Bei allen sieben freiwilligen Feuerwehren Kassels leuchteten am vergangenen Freitag abend die roten Alarmsignale. Einsatzort: Habichtswald, nähe Blauer See. Der Mosthof, bis vor wenigen Jahren beliebtes Ausflugsziel, stand in Flammen, der Wald mußte vor einem übergreifen des Feuers geschützt werden. Was die rund 100 Brandschützer erst vor Ort erfuhren: Die Kollegen von der Berufsfeuerwehr hatten den Brand gelegt, es handelte sich um eine „Übung unter ganz realistischen Bedingungen“, so der stellvertretende Leiter der Kasseler Berufsfeuerwehr, Karl-Heinz Krütt.
Seit dem Tod des Grundstückspächters Adolf Zeilinger 1992 sei das von ihm dort errichtete Gebäude verfallen, so der zuständige Forstbeamte, Dieter Schorbach. Weder eine Erbengemeinschaft noch der dann eingesetzte Landeswohlfahrtsverband habe das Erbe antreten wollen. Der Besitz fiel an das Land Hessen zurück. Von der einstigen Idylle, wo man nach einem Waldspaziergang bei Most und Kräuterbrot inmitten einer blühenden Oase die Seele baumeln lassen konnte, war nur noch eine Ruine übrig. „Wiederaufbau ausgeschlossen“, sagt Schorbach. Weder der Gebäudezustand noch die Auflagen, mit denen man heute rechnen müßte, ließen an eine Wiederaufnahme des Gastronomiebetriebs denken, so der Forstmann. Seitens der Forstverwaltung war man an einer Beseitigung der Ruine interessiert.
Da das Gebäude im Wesentlichen aus Holz bestand, kam man auf die Idee, die Entsorgung zur Brandschutzübung zu machen. Alles, was eventuell Schaden bei der Verbrennung anrichten könnte, wie Farbdosen und Gasflaschen, sei zuvor aus dem Gebäude entfernt worden, versichert Schorbach. Mit der Waldjugend habe er das Haus entsprechend entrümpelt. Auch er habe sich vor dem Brand überzeugt, daß keine Schadstoffe im Gebäude waren, bestätigt Krütt. Von den Schrott-Teilen, die der Besitzer rund um das Gebäude gesammelt habe, sei noch einiges vorhanden und müsse entsprechend entsorgt werden.
Für die Feuerwehren sei der Einsatz erfolgreich verlaufen, der Wald konnte vor den Flammen geschützt werden. Viele Spaziergänger und Einkehrer werden es bedauern, daß vom Mosthof nichts mehr übriggeblieben ist, als ein paar verkohlte Balken. (hoh)
** zusammengestellt von Per Busch **