Vor 75 Jahren, als die Amerikaner nach Kassel-Harleshausen kamen und der Krieg endlich zuende ging…
3 Zeitzeugen erinnern sich an die Tage nach Ostern 1945: Kämpfe und Tote, Ängste und Hoffnung, Desertation auf Befehl, naive Jugendliche, Landser, Offiziere, SS-Männer, Durchhalteparolen, Menschen in Kellern, Verstecke unter Kohlen, Chewing Gum und das Ende einer Krise.
„Den Einmarsch der Amis am Ende des 2. Weltkriegs erlebte ich als 11-Jähriger auf merkwürdige, unmittelbare Art und Weise.“
von Gerhard Fuchs
Ab den ersten Apriltagen 1945 rechneten wir stündlich mit dem Eintreffen der Amerikaner. Nachrichten über genaue Truppenbewegungen waren vage. Die Verunsicherung und Spannung in der Bevölkerung waren groß. Die Nachbarn in dem Haus Eschebergstraße Nr. 93 wollten uns in der kritischsten Phase des Einmarschs in ihren Kellerräumen aufnehmen. Die nötigsten Sachen waren bereits rübergebracht.
Es war wohl der späte Vormittag des 3. April 1945. Das Leben auf der Straße war fast restlos zum Erliegen gekommen. Das Wetter war etwas verhangen, trocken und mild. Da sich draußen nichts Verdächtiges tat, durfte ich vor die Tür. Dort traf ich einen etwa gleichaltrigen Spielkameraden aus einem der anderen Häuser. Wir waren unschlüssig, was wir angesichts der ungemütlichen Lage anfangen sollten, schlenderten zur Rasenallee hoch und dann weiter Richtung Geilebach. Die Straße war schmal, im damaligen Standard asphaltiert und von hohen Pappelreihen gesäumt. Zum Bach ging es steiler bergab als heute, weil darüber nur eine kleine, flache Steinbrücke führte. Bis dahin waren es vielleicht noch gut 50 Meter. Die letzten eingezäunten Grundstücke lagen hinter uns.
Plötzlich waren sie da! Aufgetaucht aus dem Buschwerk am Wasserlauf kam eine kleine Gruppe von etwa sieben amerikanischen Soldaten in ihren olivfarbenen Uniformen mit Netzen und Grünzeug an den Helmen zügig im Gänsemarsch aus ihrem Versteck geklettert. Sie ließen sich durch uns überhaupt nicht irritieren und schnürten im Schutz des flachen Straßendammes auf der Habichtswaldseite zügig durch das noch kurze Gras auf die bewohnte Gegend zu. Als sie ungefähr auf gleicher Höhe mit uns waren, kam es zu einem kurzen, wortlosen Blickwechsel und wir sahen, dass es noch junge Männer waren, die alles bei sich hatten, was im Gefecht dazugehörte. Dann liefen wir zu unseren Eltern, um Bescheid zu sagen.
Dieses Erlebnis gehört zu denen, die sich wie kaum ein anderes in solcher Deutlichkeit in mein Gedächtnis eingeprägt haben. Vielleicht gerade deshalb, weil so gar nichts Bedrohliches von der Situation ausging, wo wir schon soviel Schreckliches in diesem Krieg mitgemacht und gehört hatten. Das passte nicht in das Bild, das wir in unseren Köpfen hatten. Dass es auch anders ging, erfuhren wir einige Stunden später.
Nachdem ich Zuhause aufgeregt von unserer Begegnung erzählt hatte, packten wir schnell noch ein paar Kleinigkeiten ein und gingen zu unseren Nachbarn in den Keller. Eine Zeit lang blieb es ruhig. Dann wurde es lauter auf der Straße, Motoren- und Fahrgeräusche drangen an unsere Ohren, dazwischen auch immer wieder Stimmen. Dunkles, durchdringendes Dröhnen mit schwerem Geratter kam hinzu. Wir Kinder hatten strikt in den hinteren Räumen zu bleiben. Aber von den Erwachsenen gingen einzelne nach oben und schauten vorsichtig mit Abstand durch ein kleines Guckfenster neben der Haustür. Sie hatten einen amerikanischen Panzer gesehen, der sich auf der Straße vorm Haus aufgestellt hatte.
Es dauerte nicht lange und Geschützdonner ließ das Gebäude erzittern. Es waren fürchterlich dumpfe, markerschütternde Schläge. Dabei blieb es aber nicht. Von einer Stellung in Richtung Schwimmbad wurde von deutscher Seite aus zurück geschossen. Weiterlesen „Kriegsende am Waldesrand (1945)“ →
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